Das erste Geschäft, das ich am Morgen nach meiner späten Ankunft abends zuvor betrat, war das des hiesigen Zweiradhändlers. Als ich, frisch gestärkt vom reichlichen Hotelfrühstück, mich aufmachte zu schauen, was sich in den letzten fast zwanzig Jahren meiner Abwesenheit hier verändert hatte und was nicht, freute ich mich, dass ich über der Schaufensterscheibe einen mir immer in Erinnerung haften gebliebenen Namen las. Eigentlich wollte ich nur mal gucken, welche für mich garantiert nicht ohne schmerzhaftes monatelanges Sparen zu bezahlenden Hightechräder hier angeboten wurden, doch zehn Minuten später war ich Eigentümer eines zwar gebrauchten, aber dennoch gut gepflegten Mountainbikes. An einem, nach Meinung des sicher erfahrenen Verkäufers aufgrund meines Alters wohl eher zu mir passendem Tourenrad war ich ohne Blick darauf vorbeigegangen. Das Objekt meiner sofortigen Begierde in dem etwas abseits gelegenen Schuppen voller herrenloser Drahtesel hatte überbreite, nockenbehaftete Reifen auf Felgen, die zusätzlich durch kräftige Federn mit dem metallic-blau lackierten Rahmen verbunden waren. Genau das Richtige, um abseits von asphaltierten Straßen und Wegen, meine ehemalige zukünftige Heimat wiederzuentdecken. Der Preis, den er dafür verlangte, waren für mich jetzt nur noch Ziffern auf einer Quittung, die ich achtlos zerknickt in meine Hosentasche steckte. Eine auf der mehrstündigen Zugfahrt ostwärts geleerte Colaflasche hatte ich in der eher mich ausladenden, selbst für meine geringen Ansprüche sehr schlicht eingerichteten Unterkunft, in der nicht nur die Plastikuhr an der Wand stehengeblieben war, mit Leitungswasser neu befüllt. Diese und mein von Rührei, Wurstbrötchen und mit frischen Erdbeeren gespicktem Cornflakes-Matsch mehr als gesättigter Magen sollten ausreichen, um zumindest bis in den Nachmittag hinein unter dem leuchtenden Spätsommer-Azur umherzuradeln. Die Handballen auf die Lenkradgummis gestützt, die Füße noch fest auf dem Boden, überwältigte mich unerwartet Unsicherheit. Gehörte ich überhaupt noch oder wieder hierher, nach beinahe zwei Dekaden Arbeiten und Wohnen nahe der größten norddeutschen Metropole? Aufgestiegen, drückte ich nicht gerade leichtfüßig wechselseitig die Sohlen gegen die Pedalen. Anfangs noch zitterte das Vorderrad mangels Routine aufgrund vehementer Radfahrabstinenz aus Bequemlichkeit seit meinem Wegzug über den mit feuchtem Sand bedeckten Pfad. Schon nach wenigen Metern jedoch hinterließ ich eine schnurgerade Spur im weichen Boden, trat energischer; testete – mit flinkem Daumen an der Gangschaltung – die verschiedenen Übersetzungen. Ich war überaus zufrieden mit meiner spontanen Anschaffung. Inzwischen hatte ich mich der Peene im Stadtpark genähert, ergötzte mich am lustigen Entengeschnatter aus zahlreichen Schnäbeln, betrachtete staunend die Wasserspiele inmitten des Mühlenteichs. Sofort drängte sich ein tags zuvor eher nur nebenbei in Wirklichkeit wahrgenommenes, weil zu oft eigenäugig gesehenes Ansichtskartenmotiv in mein Bewusstsein: die Binnenalster, die darauf majestätisch und lautlos schwimmenden Schwäne und die hoch spritzende Wasserfontäne in deren Mitte. Hier aber thronten nicht ehrwürdige Gebäude an den Ufern, sondern standen drumherum nur alte, knorrige Bäume. Glücklich lächelnd machte ich mich auf, die Mecklenburgische Schweiz neu zu erkunden.